Ina Gersuny (*1998) is a Berlin-based visual artist whose work exists at the intersection of staged photography and performative art. Growing up in rural northern Germany, she often felt like an outsider in her own environment. A deep interest in fashion led her to express herself through vibrant, attention-grabbing outfits—transforming her inner sense of alienation into a visual statement.
Gersuny moved to Berlin to pursue a creative career, where she discoveres digital photography as a way to reimagine her identity. Over time, she developes a distinctive aesthetic, blending colorful self-portraits and still-lifes with everyday objects in absurd, staged compositions. These works often emerged from spontaneous video performances filmed in her dorm room at night. From the outset, Gersuny shares her creations on social media under the handle @nostalgicfuturism, where she cultivates an online persona that presents herself as an almost inhuman, artificial character. By repurposing everyday objects and challenging social structures, her work is both deeply personal and socially relevant. The digital space became a sanctuary for her self-expression, while simultaneously addressing the broader theme of humanity’s growing alienation from the outside world.
Ina Gersuny observes her environment almost like a dissect, takes a close look at social structures and human oddities and transforms questions into disturbing worlds of images. Her photographic works are characterized by a perfectionist form of staged artificiality. This artificiality contrasts with the scenographic principle of narrative that she uses. Situations are depicted in the photos, snapshots that tell stories and cause irritation, that ask questions and disturb. And it is precisely this contrast between pictorial statics and narrative mobility that makes her works so unique and remarkable. In her (self-)stagings, Ina Gersuny enters an absurd world between self-expression and isolation, attraction and repulsion. Dynamics arise between hyper-civilization and the female body, between glamor and disgust.
Ina Gersuny studied Costume Design at BSP Berlin, graduating in 2024. In the same year, she held her first solo exhibition at Galerie Mond Fine Arts in Berlin. The exhibition showcased a broad range of her photographic work from 2018 to 2024, alongside a live performance at the gallery.












Solo Exhibition, Galerie Mond Fine Arts, 04.06 - 16.06. 2024


Text von Lisa Berdunova zu Ausstellung und Werk
Es ist absurd, eine Frau zu sein
Weiblichkeit ist obszön—das Ziel ist die Schönheit, die Perfektion, die Weichheit, das Mittel ist die brutale Unterdrückung des Körpers durch den Geist. Sie ist die Herrschaft der Zivilisation über die Natur. Sie ist der Sieg der Pflicht über die Spontanität.
Und darin liegt die rationalisierte Barbarei in der Schönheit. Ina Gersuny hat das erkannt. In ihren photographischen Werken, detailreich und sorgfältig inszeniert, mit eigenen Kostümen und kunstvoll angeordneten Gegenständen, thematisiert sie das Absurde, die (nicht nur) selbstgerichtete Brutalität, den Widerspruch. Schönheit ist “Opulent Horror”. Letzteres ist Titel eines Bildes, in dem Gersuny eine viehische, gerissene Männermaske trägt, zusammen mit Perlenkette und schmaler Krone. Streifen von Blut markieren das Gesicht unter den Augen.
Mal wird Blut als Glitzer stilisiert, mal als Ketchup oder Tomatensaft. In “Ketchup in Space” sitzt Gersuny im futuristisch-königlichen Kostüm in einer vollen Badewanne. Auf ihrer Krone sind Tomaten, und über Haare und Gesicht fließt rote Flüssigkeit. Die Protagonistin hat nicht vergessen, cool und ästhetisch zu sein: Sie hat eine einlinsige Sonnenbrille, die einem Space-Soldaten ähnelt. Ist Ästhetik nutz- und harmlos? Ist Ästhetik nicht der Trieb hinter Fortschritt—der nach Walter Benjamin der Sturm ist, der alles zertrümmert?
Die Moderne macht eine Wendung: Die Corona-Pandemie beginnt und Gersuny folgt der Maskenpflicht im Supermarkt. Also steht sie, in “Alien Shopping” in einer hellgrünen Alienmaske, mit Flaschen Spülmittel in den Händen. Sie steht vor einem Regal voller Spülmittel. Das Regime der Reinheit und Sauberkeit wird befolgt. Spülmittel ist ein immer wieder vorkommendes Motiv bei ihr: Der Anspruch der Schönheit, unbefleckt und steril zu sein, wird als isoliertes Objekt wiedergegeben, das nicht so ganz zu irgendwas passt. Das prägnanteste Symbol der Reinheit—und es kann alles rein waschen, den Absatzschuh mit Haribo-Spaghetti drin, oder echte Spaghetti auf dem Teller.
Einerseits beinhaltet Gersunys Arbeit einen Leidensdruck, eine verstaute Aggression, die aus dem Zwang, als Frau makellos zu sein, entsteht und sich doch genau in dieser zwanghaften und selbstgerichteten Gewalt ausdrückt. Andererseits findet die Künstlerin Humor in dem Leidensdruck. Surreal und befremdlich ist das Ganze—und nur so zeigt sich die Dissoziation, mit der die Frau ihrem Körper begegnet. Man ist wie im Traum, schwebt über Gersunys Körper in einem komischen, geometrischen, endlosen Raum in “Rare Reality”. Die Grenze zwischen Realität und Nicht-Existenz löst sich auf; Gersunys Werk ist eine Bestätigung für alle Frauen, die das Gefühl haben, sie würden nicht wirklich in ihrem Körper oder der Welt existieren, sondern in einem Zwischenraum, fern von allem.
Gesellschaft und Kultur sind in sich widersprüchlich: Im Status, Luxus und der Reputation wohnt etwas komisches, eine Einsamkeit und ein Scheitern inne. In “False Fantasies” steht ein Martini-Glas auf dem Tisch, drin sind—Würmer? Wieder Haribo-Spaghetti? In “Forgotten Fantasies” kippt das Glas um, und es kommt eine mysteriöse grüne Flüssigkeit raus. Es ist kindlich, spaßvoll, und verloren. Was bedeutet es, ein Erwachsener unter Erwachsenen zu sein? Was bedeutet das erwachsene Streben nach Aufstieg, das mühevoll und wenig versprechend ist? Alles ist eine traurige und lustige Fantasie.
Bei Gersunys Performance bei der Vernissage ist es wieder ein Spiel mit dem Essen. Sie greift langsam nach den fälschlichen Nudeln—sie entleert das Spülmittel darauf. Sie bleibt ruhig die ganze Zeit und steigert mit ihrem Schweigen etwas Ironisch-Zeitloses. Auf ihrem Instagram interagiert sie mit der Stadtwelt: Baustellen, verlassene Häuser, kaputte Gegenstände, die Menschen zurückließen. In bunter Kleidung tastet sie an, hebt sie auf, packt sie in ihre Handtasche, sucht nach neuen Funktionen dieser Dinge, und erweckt sie zum absurden Leben.
Die Moderne ist halb-tot und halb-lebendig, ein gescheitertes Projekt, dessen Verfall Gersuny festhält und ästhetisiert. Und selbst Ästhetik wird ästhetisiert, ironisch gewendet und gegen sie selbst gerichtet. Was bleibt, ist verstörend, lustig und drückt doch eine tiefe Empathie aus. Empathie für die, die nicht ganz dazu gehören, die einsam und entfremdet sind. Die moderne Frau gilt aus ihrer eigenen Sicht als Alien, Monster, halb existierendes Wesen—und Gersuny ruft zum Verständnis mit dieser Außerweltlichkeit auf. Man muss übrigens betonen: Künstlichkeit ist nicht das Gegenteil von Authentizität. Manchmal drückt sie eine tiefere Wahrheit aus.
©Lisa Berdunova